In der Königlichen Bibliothek Kopenhagen liegt unter der Signatur „Gl. kgl. Samling 1872.4°“ (allgemein zitiert als „KB 1872“) ein ganz besonderer Schatz: 7 handgeschriebene Stimmbücher, bis auf eines unversehrt, die zum Repertoire der königlichen Hofkapelle gehörten. Wir haben hier also die Besonderheit (neben der Tatsache, dass das Überleben der Bücher in Kopenhagen über Jahrhunderte voller Kriege, Stadtbrände usw. schon gewissen Seltenheitswert hat), dass wir die Exemplare haben, aus denen tatsächlich am Hof gespielt wurde, und somit der Hofkapelle ein wenig über die Schulter schauen können.
Die original erhaltenen Einbände der Stimmbücher tragen die Jahreszahl 1541. Man sollte aber nicht davon ausgehen, dass das Werk in diesem Jahr vollendet worden ist – die Bücher wurden erst gebunden und dann vollgeschrieben…
Die Stimmbücher enthalten 163 Stücke zu 5 bis 16 Stimmen verschiedener Genres. Man findet Lieder, Motetten, Einzelsätze von Messen und verschiedene Arten von dezidierter Instrumentalmusik. Ein großer Teil ist ohne Komponistenangabe, die genannten Komponisten sind überwiegend die „großen Namen“ Europas – Josquin Desprez, Ludwig Senfl, Antoine Brumel, Nicolas Gombert, Caspar Othmayr, Philippe Verdelot, daneben u.a. die eher lokal bedeutenden Adrian Petit Coclico und Jørgen Presten. Nicht wenige der hier überlieferten Stücke sind Unica, d.h. es sind keine anderen Ausgaben bekannt.
Fast das gesamte Werk wurde von einem einzigen Schreiber hergestellt. Dieser ist nirgends genannt; hauptsächlich auf Grund von Schriftvergleichen mit Briefen kann man aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass es der Erste Trompeter der Hofkapelle, Georg Heyde (in Dänemark: Jørgen Heyde), war. Dieser ist erstmals 1535 nachgewiesen als Trompeter am Hof des preußischen Herzogs Albrecht in Königsberg. Wohl wegen Streitigkeiten innerhalb der Kapelle wechselter er 1542, ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben der Herzogs, nach Kopenhagen an den Hof von Christian III., dem Schwager des Herzogs. Auf ihn warteten neben den vielfältigen Aufgaben des Ersten Trompeters auch schon die im Vorjahr gebundenen, aber noch leeren Stimmbücher…
Wie die Stücke aus den Stimmbüchern aufgeführt worden sind, ist nicht ganz klar. Es handelt sich zum überwiegenden Teil um Vokalmusik, allerdings sind nur wenige Texte unterlegt, und dann auch meist nur in der Bassus-Stimme. Die Hypothese, die Noten seien von den Sängern der Hofkapelle benutzt worden, die als Profis die Texte auswendig kannten, überzeugt mich nicht – sie hätten dann auch die Noten auswendig gekonnt, und man hätte keine Stimmbücher gebraucht. Einigen Stücken sind Instrumentierungsanweisungen („Krumbhörner“; „4 Zincken und 4 Pusaun“ usw.) hinzugefügt. Man kann davon ausgehen, dass die Noten für die Bläser bestimmt waren. Ob als Begleitung für Sänger, deren Noten nicht erhalten sind, oder für eine rein instrumentale Verwendung, ist nicht abschließend geklärt.
Zählhilfen der Musiker, ob in einfachen Fällen (links) oder in komplexeren (rechts) zeigen, dass die Profis der Hofkapelle auch nur mit Wasser kochten.
Dandernack auf dem Reine (Petrus Alamire)
Maduna Josum (anonym)
Ut re mi fa sol la (anonym)
Adieu mes amours (anonym)
Welsch Tantz „Lamentanza“ (anonym)
Welsch Tantz „Passamezza“ (anonym)
Von üppiglichen Dingen (Matthias Greiter)
Lerman (Johann Heugel)
Vivo ego dicit Dominus (Ludwig Senfl)
Laspange Tantz (Josquin Desprez)
Praeter rerum seriem (Josquin Desprez)
Von Anfang her hat Gottes Ehr (Melchior Kugelmann?)
Von Gott dem Herren haben wir (Melchior Kugelmann)
Parcere prostratis (anonym)
Conditor alme siderum (Ludwig Senfl)
Nesciens mater (Thomas Stoltzer)
Cent mille regretz (anonym)
Venite exultemus Domino (Adrianus Petit Coclico)
Text: Psalm 95