Seitenstetten 2017

Ludwig Senfl

LUDWIG SENFL (Sennfl, Senfli, Senfelius und andere Varianten – er selber verwendete öfter die Schreib­weise Sennfl, z.B. im Akrostichon der Strophenanfänge des Liedes „Lust hab ich g’habt zur Musica“) wurde um 1486 oder etwas danach geboren. Sein Geburtsort ist umstritten – Zürich oder Basel. Für mich spricht einiges für Zürich: Seine erste namentliche urkundliche Erwähnung, ein Eintrag in der Zürcher „Glückshafenrodel“, einer Teilnehmerliste einer Lotterie anläßlich des „Freischießens“, eines großen Schützenfestes im Jahr 1504, lautet „Ludwig Sennfli von Zürich“. Hinzu kommt, daß sich Senfl oft „der Schweizer“ nannte; Basel gehörte aber erst ab 1501 zur Eidgenossenschaft, als Senfl längst am königlichen Hof lebte -­ als vor 1500 geborener Basler wäre er also kein Schweizer. Vor eini­gen Jahren schließlich wurde eine Zahlungsanweisung Maximilians I. aus dem Jahr 1498 gefunden, in der einem „armen Mann aus Zürich“ Amsterdamer Tuch zur Anfertigung eines Rockes zugesprochen wird als „Entschädigung“, weil er dem König einen Sängerknaben gebracht habe. Das paßt einiger­maßen zu Senfls eigener Aussage, er habe 23 Jahre in Maximilians Hofkapelle gedient – sie wurde 1520 auf­gelöst. Bei dem „armen Mann“ könnte es sich also um Vater Senfl gehandelt haben. Halten wir auf jeden Fall fest: Ludwig Senfl stammte aus der Gegend, die man heute als die Schweiz kennt. Und es hatte ihn, den kleinen Jungen von gerade mal 10 Jahren (wenn überhaupt so vielen), auf einmal in die Fremde verschlagen, an den königlichen Hof in Wien (bzw. in Innsbruck oder sonstwo auf Reisen).

Hier war der erst vor kurzem aus Italien angekommene Heinrich Isaac sein Lehrer, wie Senfl in „Lust hab ich g’habt“ später voll Verehrung schrieb. Ob er der einzige Lehrer war und wie man sich den Unter­richt vorzustellen hat, ist nicht bekannt, auch nicht, wie lange das Lehrer-Schüler-Verhältnis ging. Möglicherweise hat Isaac Senfl auch einmal nach Florenz mitgenommen, um ihn in die Geheimnisse der Frottolen-Komposition einzuweihen; in einer Ausgabe aus dem Jahr 1515 finden sich 2 Frottolen eines „Ludovic S.“.

Vermutlich begann Senfl, wie bei den Chorknaben nicht unüblich,  während der Zeit des Stimmbruchs ein Studium an der Wiener Universität. Zwar ist er in der Matrikel der Universität nicht verzeichnet, aber er wurde später, 1508, erstmals in den Akten des (inzwischen kaiserlichen) Hofes erwähnt als „Cle­ricus Constanciensis“ (Konstanzer Kleriker), muß also irgendwann Theologie studiert und wenig­stens die niederen Weihen empfangen haben.

1507 nahm er mit der Hofkapelle am Reichstag in Konstanz teil und blieb danach, zusammen mit Isaac, noch dort, um diesem bei der Komposition des „Choralis Constantinus“ zu helfen, was man sich viel­leicht ähnlich wie im Atelier eines Malers vorstellen kann – der Meister gibt die „Richtung“ vor, dem Lehrling bzw. Gesellen obliegt die Ausführung. Nebenbei dürfte er in Konstanz die Kontakte geknüpft haben, die dazu führten, daß er in den Hofakten als „Clericus Constanciensis“ (s.o.) auftauchte.

In dem Maße, in dem Isaac sich in den folgenden Jahren am Hof immer rarer machte und als Kompo­nist für kurzfristige Aufträge nicht zur Verfügung stand, übernahm Senfl zunehmend diese Aufgabe. Er wurde in den Akten der Kapelle nur als Altist geführt, bezeichnete sich aber später als „Componist … nach Ysaacs Abgang“.

1515 war Senfl mit der Hofkapelle an den Feierlichkeiten der „Wiener Doppelhochzeit“ beteiligt, einer zumindest aus heutiger Sicht recht bizarren außenpolitischen Veranstaltung, bei der der neunjährige Sohn des Königs von Ungarn mit der gleichfalls neunjährigen Enkelin Maximilians verheiratet wurde und Maximilian selbst in Stellvertretung seines Enkels die 12-jährige Tochter des Königs von Ungarn ehelichte.

Auf dem Reichstag 1518 in Augsburg, an dem Senfl nachweislich teilnahm, könnte er die Bekannt­schaft Martin Luthers gemacht haben, mit dem er später in freundschaftlichem brieflichem Kontakt stand.

Nachdem Maximilian 1519 überraschend gestorben war, löste sein Enkel und Nachfolger, Karl V., im folgenden Jahr die Hofkapelle auf; ein Teil der Instrumentalisten wurde übernommen, die anderen so­wie die Sänger entlassen. Senfls Bemühungen, für sein de facto innegehabtes Komponistenamt ein an­ge­messenes Salär zu erhalten – das ihm von Maximilian zugesagt worden war – , blieben erfolglos.

Drei Jahre vergingen, ohne daß Senfl eine feste Anstellung hatte. Ungefähr zur Zeit seiner Entlassung gab er in Augsburg den prachtvollen „Liber selectarum cantionum“ (Buch ausgewählter Gesänge) her­aus, eine Motettensammlung mit 4- bis 6-stimmigen Werken von Josquin, Isaac, Mouton, de la Rue und nicht zuletzt von Senfl selbst. Genau genommen, doch zuletzt: Aus Bescheidenheit hielt er es für ge­bo­ten, in jedem Abschnitt – 6-stimmig, 5-stimmig, 4-stimmig – seine Werke an den Schluß zu setzen und im Gegensatz zu den anderen Komponisten sich selbst nur mit den Initialen zu nennen. Das ganze war ein Chorbuch, d.h. in so großem Format, daß der ganze Chor daraus singen konnte. So einen Motet­ten­druck hatte es zuvor nördlich der Alpen noch nicht gegeben. Gewidmet war das Werk dem Salzburger Kardinal Matthäus Lang, einst Vertrauter und enger Berater Maximilians, jetzt die „graue Eminenz“ im Reich.

Auf dem Reichstag 1521 in Worms war Senfl zugegen, sicherlich auch auf der Suche nach einem Arbeit­geber. Es ist anzunehmen, daß er dort abermals mit Luther zusammentraf.

Endlich, im Jahr 1523, fand er, zusammen mit einigen Kollegen aus der kaiserlichen Hofkapelle, eine An­stellung in München bei Herzog Wilhelm IV von Bayern. Die herzogliche Kapelle, ein ziemlich zu­sam­mengewürfelter Musikantenhaufen, wurde von Senfl gründlich auf Vordermann gebracht und zu einem professionellen Spitzenensemble ausgebaut. Er blieb Leiter („musicus intonator“, wie er sich selbst gelegentlich bezeichnete) der Kapelle bis zu seinem Tod.

1529 gab Senfl den geistlichen Stand auf, kaufte ein Haus und heiratete. Vermutlich starb die Ehefrau früh, denn 1535 heiratete er abermals; dieser zweiten Ehe entstammte 1537 eine Tochter.

Daß er als katholischer Kleriker gleichwohl der Reformation nicht völlig ablehnend gegenüberstand, ist bekannt. Nicht nur mit Luther verkehrte er freundschaftlich und schickte ihm Kompositionen, auch z.B. von Herzog Albrecht von Preußen, einem Anhänger der neuen Lehre, nahm er Aufträge an. Daß er sich im katholischen Bayern damit der Gefahr von Anfeindungen (oder Schlimmerem) aussetzte, war ihm und seinen Korrespondenzpartnern bewußt. Luther schrieb ihm 1530 von der Veste Coburg:

„[Die Liebe zur Musik] hat mir auch Hoffnung gemacht, dass mein Brief dir keine Gefahr bringen wird… Lobe ich doch deine Herzöge von Bayern gar sehr, auch wenn sie mir nicht im mindesten geneigt sind, und achte sie vor andern hoch, weil sie die Musik so fördern und pflegen.“

Vorsicht war geboten – wenn Senfl dem Protestantismus zuneigte, verbarg er dies jedenfalls.

Im Frühjahr 1543 starb Ludwig Senfl in München.