Klingendes Holz aus alten Zeiten
 
Anmühtig und wol zu hören

Der rätselhafte Bassanello

In Michael Praetorius‘ Organographia finden wir Abbildungen und eine Beschreibung einer seltsamen Instrumentenfamilie aus der Gruppe der offen geblasenen Doppelrohrblattinstrumente – der Bassanelli. Praetorius schreibt:

„Bassanelli haben den Namen von ihrem Meister, der sie erfunden hat (Johann Bassano, einem vornehmen Instrumentisten und Componisten zu Venedig); gehen gleich gerade durch, einfach, unten offen, haben nur einen Messings-Schlüssel [= Klappe, U.A.], werden mit blossen Röhren gleich den Fagotten, Pommern, … geblasen, denselbigen auch am Resonantz fast gleich, doch viel stiller.“

Was ist nun das Rätselhafte an diesen Instrumenten?

Darstellung der Bassanelli bei Michael Praetorius (Syntagma musicum, Wolfenbüttel, 1619).
Darstellung der Bassanelli bei Michael Praetorius (Syntagma
musicum, Wolfenbüttel, 1619).

Zunächst, nicht zu übersehen, ihre Form: Während Instrumente, insbesondere Holzblasinstrumente, im 16. Jahrhundert zu schlichten Formen tendierten, schien sich hier der Instrumentenbauer an der Drehbank regelrecht ausgetobt und den barocken Stil 100 Jahre vorweggenommen zu haben. Welchen Grund könnte es dafür gegeben haben?

Weiterhin haben wir hier die Besonderheit, dass das Instrument nach seinem Erfinder benannt ist. Was im 19. Jahrhundert gelegentlich vorkam (bekanntestes Beispiel: Saxophon, benannt nach seinem Erfinder Adolphe Sax), war in der Renaissance absolut unüblich. Es war wohl nicht der berühmte venezianische Musiker Giovanni Bassano (= Johann B. bei Praetorius), sondern sein Vater, Santo Bassano, der das Instrument konstruierte; von diesem ist bekannt, dass er 1582 die Erfindung eines Holzblasinstruments patentieren ließ. Nun ja, ein gerade gebohrtes Blasinstrument mit Rohr­blatt, selbst wenn es eine lustige Form aufweist – nett, aber altbekannt; so etwas dürfte kaum für ein Patent taugen. Was hatte es also mit diesem neuen Instrument auf sich?

Leider ist kein Originalinstrument überliefert; außer der Beschreibung und Abbildung bei Praetorius haben wir nur einige Inventarverzeichnisse von Hofkapellen, aus denen hervorgeht, dass diese Instrumente tatsächlich verwendet wurden oder zumindest vorhanden waren. Wir können also leider nicht einfach nachschauen oder nachmessen.

Es ist wiederum Praetorius, der uns einen Tipp gibt, in welcher Richtung wir suchen müssen: Wichtig ist zu wissen, dass Holzblasinstrumente üblicherweise aus einem Stück bestanden, selbst die allergrößten Blockflöten von > 2 m Länge. Heute weiß jeder Blockflötenspieler, dass es möglich und oft auch nötig ist, im Ensemble die Flöten aufeinander abzustimmen, indem man bei einer zu hohen Flöte den Flötenkopf ein Stückchen herauszieht, wodurch das Instrument tiefer wird. Das ging natürlich nicht mit Flöten, die aus einem Stück gearbeitet waren, und die Musiker waren nicht besonders glücklich mit diesem Zustand.

Praetorius schreibt, er habe die Lösung gefunden:

„Daher mir dann dieses Mittel eingefallen, daß ich die Flötten, oben zwischen den Mund- und Fingerlöchern, mitten zertheilen, und das oberste Stück auff zweyer Finger breit lenger machen lassen, also daß man dasselb in das Untertheil, so weit man wil, oder von Noten ist, hinnein stecken, die Pfeiffen lenger oder kürtzer machen, und also einer solchen Flötten, daß sie jünger oder gröber werde, so bald allemal helffen kan.“

Kurz gesagt: Flöte durchsägen, eine 2 Finger breite „Manschette“ aus Metall als Verlängerung auf das untere Ende des neu entstandenen Flötenkopfes stecken, den Rest der Flöte von der anderen Seite in diese Manschette stecken, und schon kann man die Länge des Instruments – und damit die Tonhöhe – regulieren. Weiter schreibt Praetorius (jetzt kommt der Tipp!):

„Imgleichen ist solches in den Bassanelli … auch versucht und just befunden worden…“

Aha – könnte die sonderbare Form der Bassanelli hier ihre Erklärung finden?

Mit der Möglichkeit, das Instrument an einer Stelle herauszuziehen, ist das Leben des tonreinheitsbewussten Bläsers etwas, aber nicht viel leichter geworden: Durch das Herausziehen des Instruments kommt er zwar in der Intonation des Stimmtons seinen Kollegen entgegen, aber um den Preis, dass sein Instrument jetzt in sich nicht mehr stimmt, weil sich die Längenverhältnisse geändert haben. (Praetorius sah das locker: „Und obgleich auch etliche berühmte Instrumentmacher vermeynen, daß die Flötten dadurch in etlichen Löchern falsch werden möchten, so haben sie doch hernacher selbsten daran kein mangel…“) Sollte vielleicht der Instrumentenbauer Bassano in Venedig das Problem dadurch zu lösen versucht haben, dass seine neuen Instrumente sich an nicht weniger als 4 Stellen auseinanderziehen ließen? Das wäre für die damalige Zeit eine wahrhaft revolutionäre Idee. Die verspielten Drechseleien wären dann nichts anderes als Verstärkungen oder Abdeckungen der Verbindungszapfen.

Bassanelli_Aufbau
Prinzip der Längenverstellbarkeit der Bassanelli (aus: Foster, The Bassanelli Reconstructed: A Radical Solution to an Enigma, Early Music, Vol. 20, No. 3 (Aug., 1992), pp. 417-422+424-425).

Der englische Instrumentenbauer Charles Foster versuchte Anfang der 1990er Jahre, nach den Angaben und Abbildungen bei Praetorius einen Bassanello nachzubauen, der sich – in sich rein – um einen halben Ton umstimmen ließe. Er fand heraus, dass es nicht allein damit getan war, mehrere Stücke gebohrtes Holz zusammenzustecken, sondern dass die Verbindungen so sorgfältig konstruiert werden mussten, dass auch in voll herausgezogenem Zustand die Wandung der Röhre glatt genug war, dass der Ton nicht durch Luftwirbel instabil wurde. Nach längerer Forschungsarbeit gelang ihm die Konstruktion, die im Jahre 1582 mit Sicherheit eines Patents würdig gewesen wäre.

Das alles ist und bleibt aber letztlich Spekulation, und wir werden nichts mit Sicherheit wissen über den Bassanello, solange nicht auf irgendeinem Speicher oder in irgendeinem Keller überraschend ein originales Instrument auftaucht.

Unsere ausgestellten Bassanelli sind „Designstudien“ des inzwischen verstorbenen Instrumentenbauers, Helmut Bartschies, der vermutlich von den Forschungen von Charles Foster nichts wusste. Ebenfalls um die Rekonstruktion dieser Instrumente bemüht ist der schweizer Instrumentenbauers Christoph Schuler (http://www.allantica.ch/).

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